Hochsaison*
(nicht das Psychogramm eines einzelnen Mannes, denn ein "potpourri" mehrerer hier real existierender Männer und somit ein Sittenbild)
1.
Er ist so, ja er ist so, genau so wie einer, wie dies nur ein seit einem nunmehr in die Jahre gekommenes Vierteljahrhundert; ein diesem Zeitraum andauernder Boom, des kollektiven Aufstieg, des reich und reicher und noch reicher; also die Erfolgsgeschichte eines Skigebietes, erschaffen kann.
Wie in Ischgl, wie in Gstaad, Arlberg, Davos, wie in Schladming, in Charmonix, Alta Badia, Bormio, Sölden, Cortina.
So wie hier.
Bettenburg an Bettenburg, Kunde um Kunde, Geschäft und Geschäfte.
Er weiß Bescheid.
Er weiß was in der abgelegensten Provinz bis in die mondäne Weltstadt.
Er weiß Bescheid.
Der Kuchen ist noch lauwarm und schon aufgeteilt.
Er ist in seinem Reich.
Sein Reich.
Das Skigebiet, die Aufstiegsanlagen, die Skihütten, die Restaurants, die Hotels, die Diskos, die Bars, der Skiverleih, der Parkplatz, die Anfahrtsstraßen, der Golfplatz, die Golfplätze.
Das Skigebiet.
Immer seltener verlässt er sein Reich.
Sein Reich.
Auf ihn ist Verlass.
Seit 20 Jahren ist auf ihn Verlass.
Er hat gearbeitet; so wie man seiner Meinung nach zu arbeiten hat.
Seine Meinung zählt.
Aus Hütten wurden Restaurants, aus Bauern Hoteliere, aus Armen Reiche, aus Pensionen Hotels, aus einem Schlepplift drei Umlaufbahnen, aus 10 km Pisten 300 km Pisten, aus einer Bar ein Imperium.
Kapitalismus funktioniert.
Er funktioniert.
Alle, also er hat profitiert.
Auf ihn ist Verlass.
Er kann es sich leisten sich zurück zu lehnen.
Er lehnt sich niergendwo an.
Er muss weitermachen.
Er kann es sich leisten.
Er muss immer besser sein, denn einer wie er, misst sich nur noch an sich Selbst.
Man kann sich auf ihn verlassen.
Die Pakistaner kommen.
Karatschi-Frankfurt am Main.
Frankfurt am Main-Hierher.
Hierher-Berggipfel.
Ein langer Tag.
Die Pakistaner bleiben die Hochsaison auf dem Berggipfel, irgendwo im Keller, wie eine verfaulende Wurst versteckt.
Bleiben auf dem Berggipfel.
Weit weg von allen.
Wie ein fünftes Ass hält er die miesesten Jobs in seinen Ärmel versteckt.
Globalisierung funktioniert.
Er funktioniert.
Alle sparen an der richtigen Stelle.
Auf ihn ist Verlass.
Die Spiegel lagen bei ihm zu Hause waagrecht; denn senkrecht hat nur die Skipiste zu sein und es gab viel zu lachen, zusammen; wie haben sie die richtigen Leute auf die richtigen Posten gehievt.
Wie haben sie gelacht.
Und nun ist er ein Ungeheuer.
Ja, er fühlt diese Blicke, die sich in jahrelanger Paranoia zur schrecklichen Fratze, der seinen, entwickelt hat.
Wie in Ischgl, wie in Gstaad, Arlberg, Davos, wie in Schladming, in Charmonix, Alta Badia, Bormio, Sölden, Cortina.
So wie hier.
In solchen Skiorten entstehen solche Menschen wie er; kein Gedicht, denn zentnerschwere Prosa drückt sich aus seinen mit der Zeit schwerfälligen, aber doch noch wieselflinken Bewegungen.
Ein Ungeheuer unter Ungeheuern.
Er bleibt in seinem Reich.
Nur noch selten verlässt er sein Reich.
Keiner wagt es seinen Blick zu erwiedern, seinen Adlerblick der nur noch müde Augen streift.
Ungeheuer und Biester.
Dass ist sein Reich.
Die Biester.
Keiner solle ihm noch mit diesen Frauen kommen; verheiratet, geschieden, zahllose Liebschaften und am Ende nur ein dumpfes Gefühl aus all diesen Mühen, diesem sich Bemühen, diesem Streiten und Zanken und Versöhnen, gewonnen zu haben.
Keiner.
Er flaniert durch sein Reich.
Der Tellerwäscher Fadi.
Wie die meisten Billiglöhner aus der 3.Welt.
Fadi grüßt freundlich.
Morgen wird er ihn entlassen.
Bei ihm hat ein jeder nur eine Saison um zu begreifen.
Zu begreifen.
Sein Reich.
Auf ihn ist Verlass.
An der Theke wartet eine Blonde auf ihn, schlampig ist nicht nur ihr Blick.
Blond sollen sie sein.
Blond und zierlich.
Trinkfest.
Zumindest bis zum Mittag sollte sie vor dem Tresen stehen und nicht unter diesem.
Sie steht.
Aber.
Überhaupt, wie genug hat er von dieser ewigen Nutterei; diesem Fleischmarkt, diesem sexuellen Triebhaften, dieses Gehype, dem Technobeat, der Disco, der Skihütte, der Bar; wie genug nur von all diesen Koksnasen und wunderschönen Mädchen, die nur darauf warten, von ihm erwählt zu werden.
Aber er ist kein Prinz, war immer der Metzger, lange Zeit der Jungfrauen-Metzger.
Aber dass ist lange her.
Heute interessiert dass keinen mehr.
Er ist kein Prinz.
Er ist der König.
Er zieht sich eine Linie und wirft seine Augen zurück; all diese Verrückten muss er sich vom Hals halten und zwei Polizisten in Zivil grüßen freundlich.
Wen alle angehalten werden, dann wird er durchgewunken.
Wie immer auf und für die und für die reiche Seite.
Zwei Gratis-Drink.
Die Blonde wartet noch auf ihn.
Aber er hat genug.
Tief ist er gesunken.
Tiefer als er sich dass jemals hätte vorstellen können.
Der Selbstekel hat einen bestimmten Punkt überschritten und sich in Apathie verwandelt.
Er ist in seinem Reich.
Sein Reich.
Ein Reich, dass aus Oberfläche, Glamour, Glitzer, Immerzu-Was-Auch-Immer-Der-Gast-Wünscht.
Diese Welt aus Zucker, Nutte, Alkohol, Erfolg und Koks.
Sein Reich.
Er hasst diese Welt nunmehr, denn es ist seine Welt.
Er ist diese Welt.
Er hasst sich Selbst.
2.
Das Dasein bekommt mit der Zeit eine bestimmte Schwere.
Und es erscheint solchermaßen, als hätte dieser Schwermut nicht nur sein Äußeres verunstaltet.
Nur noch Verachtung; für sich, für den Rest.
Was wissen die anderen schon?
Was wissen sie?
Stehen sie frühmorgens noch auf oder hat das Leben die Regie übernommen?
Fressen sie noch oder wurden sie schon von ihrem Leben aufgefressen?
Wo bleibt dieser freie Wille, denn alle wollen und keiner hat?
Er steht auf und bleibt stehen.
Alles verändert sich.
Die Art und Weise, das Klima, die Frauen, die Dauer.
Alles verändert sich.
Er bleibt stehen.
Solche wie er werden gebraucht um andere Menschen zu verbrauchen.
Er hat keine Peitsche.
Er hat nur seine durch alle menschlichen Schichten hindurchdringende Kälte.
Solche wie er werden allerzeiten überall gebraucht.
Einer muss schneiden.
Einer muss trennen.
Einer wie er.
Er stellt sich nicht in Frage, Zweifel sind ihm fremd, seine Abgebrühtheit bewahrt ihn davor Fehler zu begehen.
Er macht keine Fehler.
Er beseitigt die Fehler.
Das Richtige zu tun oder was er dafür hält.
Er nimmt sich eine Flasche.
Er trinkt.
Trinken kann heutzutage auch keiner mehr.
Er trinkt.
Die Flaschen werden langsamer leer.
Die Leere füllt sich mit Rausch.
Der Rausch füllt sich mit Leere.
Der Hype. Die Ausdauer. Das Durchhalten. Die Grimassen.
Die Fratzen. Das Blut. Die Tränen.
Die Hochsaison.
Für alles gibt es einen oder einen.
Ihn gibt es für die Hochsaison.
Geld.
Mehr Geld.
Und noch mehr Geld.
Geld.
Der letzte Gedanke, welche ihn aus dem Schlaf reißt.
Er wäscht sich.
Er haltet Ausschau nach jedem Anzeichen von Alter an seinem Körper.
Wenigstens.
Die jungen Hühner, ja er könnte diese wie in den zurückliegenden Saisonen.
Er könnte sich lieben lassen und kann doch nur lachen.
Schlachten.
So wie es hier die meisten treiben.
Skilehrer. Kellner. Türsteher. Tänzer. Animateure. Musiker. Dealer. Makler. Profiteure.
Freizeitbeschäftigung.
So wird getrieben.
Die Touristin von heute verlangt für ihr Geld die gesammelte Auswahl an Dienstleistungen.
Er gähnt.
Das Treiben wiedert ihn nicht an.
Dafür ist er zu professionell.
Geschäfte werden abgeschlossen.
Etwas am Rad gedreht.
So tun.
Das Übliche.
Diese mit jenem. Jener mit der.
Seinesgleichen bleibt unter seinesgleichen.
Er ist zufrieden.
So läuft es hier in diesem Skigebiet.
Wie in Ischgl, wie in Gstaad, Arlberg, Davos, wie in Schladming, in Charmonix, Alta Badia, Bormio, Sölden, Cortina.
So wie hier.
In solchen Skiorten entstehen solche Menschen wie er.
Ein Hotelier, wie alle Hoteliere in der Umgebung, ein Freund.
Eine Flasche gratis.
Die stille Übereinkunft.
Das große Schweigen und die Kasse stimmt.
Alles basiert auf Tausch.
Geld ist das Allerheilsmittel, der Religionsersatz, das Einmaleins und das Alphabet.
Er ist geheilt.
Er glaubt.
Er rechnet. Er schreibt.
Er funktioniert.
Die Hoteliere respektieren ihn nicht, sie bewundern ihn.
Er bringt ihnen Geld. Viel Geld.
Liebe ist Geld. Geld ist Liebe.
Wer dass nicht verstanden hat, hat in seinem Reich nichts verloren.
Er fragt nicht, er nimmt.
Er macht das Angebot attraktiver.
Er vervollständigt.
Vielleicht hätte er doch Bauer werden sollen.
Vielleicht aber auch nicht.
Die Saisonen kommen und gehen.
Die Gesichter kommen und gehen.
Die Jugendlichkeit, die Unschuld, wunderschöne Frauen.
Alles wird verblühen.
Und er?
Er metzgert sich durch das Fleisch und die Formen.
Die Formen.
Hier und dort gönnt er sich noch eine.
Seine Ex-Frau hat ihm auch diese allerletzte Freude verdorben.
So sind die Frauen.
Vielleicht die Rache.
Aber er ist nicht so naiv zu glauben, dass es so etwas gibt.
Seine Mädchen und Frauen.
Wie ein Metzger mit seinem Brot, wie ein Bäcker mit seinem Fleisch, wie ein Fischer mit seinem Korn, wie ein Bauer mit seinen Fischen.
Die nächste Flasche.
Sein Reich. Sein Skigebiet. Seine Angestellten. Seine Flaschen. Sein Leben. Sein Pakistan
Ein Abstecher in das Gourmet-Restaurant, mit wenig Gourmet und viel Restaurant.
Von jedem Kellner ein Freund.
Von jedem Gast ein Bekannter.
Nobel geht die Welt nicht zugrunde.
Die Kellnerin, die Neue, langsam wird ihr Gesichtsausdruck, welcher in seinem leeren Blick nach irgendetwas sucht, was niemand mehr finden wird, lockerer.
Sie hat jetzt.
Er weiß es.
Sie hat jetzt auch ein hier und dort.
Er liebt dieses Unschuldige, dass sich nach der Schuld verzehrt; wie dieses Unschuldige noch nicht durch diesen Fleischwolf namens Saison hindurchgezogen wurde.
Am liebsten würde er.
Was?
Er weiß es ja auch nicht.
Nach einer Saison wird sie zur Nutte verblüht sein.
Aber jetzt ist sie noch die Schönheit vom Lande.
Frisch, unverbraucht, vital.
Alles verblüht.
Das Essen.
Der Besitzer spaziert wie ein Rinder-Steak bestellt.
Keine Kosten.
Gratis.
Danke und zurück zum Büro.
Er muss fleißig bleiben.
Statistiken fälschen.
Empfehlungen weiterreichen.
Anrufe umleiten.
Netzwerke spielen.
So tun.
Das Übliche.
Macht zeigen.
Die nächste Flasche.
Das Telefon.
Im Luxushotel den Abend ausklingen lassen.
Das Ambiente.
Distinguiert, blutjung, herausgeputzt.
Er steht.
Alles ist hier gedämpft.
Das Licht. Das Leben. Die Worte. Die Gespräche.
Peinlich ist nur ein Wort unter vielen.
Es gibt Etikette und guten Wein.
Alles ist hier gedämpft.
Das Klirren der Gläser. Das Aus- und Einatmen. Der Schmerz.
Zwei Tabletten und eine Linie.
Ein Glas.
Er denkt, also sucht er Ablenkung.
Warum nur arbeiten die schönsten Menschen geradezu immer im Luxusbereich?
Weil der Mensch an sich keinen Charakter hat?
Weil der Mensch ein Feigling ist?
Weil der Materialismus alle Fragen hinweggefressen hat?
Eine Blutjunge setzt sich ungefragt zu ihm hin.
Er wimmelt sie ab.
Heute.
Seine Launenhaftigkeit war auch schon einmal besser.
Seine Vergangenheit ist sein Grab.
Er wird pathetisch.
Vielleicht hätte er die Blutjunge nicht abwimmeln sollen.
Er bezahlt.
Er geht.
Respekt wohin er blickt.
Er braucht keinen Respekt mehr.
Die Melancholie erreicht ihn vor der Müdigkeit.
Hinter der Fassade erwartet ihn ein Wrack.
Er hat keine Spiegel mehr zu Hause.
Die waagrechten, die senkrechten.
Er braucht keine Spiegel mehr.
Sein Reich ist ihm der Spiegel.
3.
Er ist nicht Teil eines System.
Er ist das System.
Es funktioniert.
Er funktioniert.
Frühmorgens; die Morgentoilette wartet noch auf ihn.
Das Badezimmer.
Die Schönheitskönigin im Hinterzimmer.
Die blutjunge Kellnerin überall.
Er hat sein Anrecht auf Konsum erkannt.
Er konsumiert.
Die schwedische Studentin und ihre Schwester.
Die Weinkönigin im PKW.
Er konsumiert.
Und die Erinnerung scheint ihn zu konsumieren.
Die Kontrolle.
Um so konservativer, um so besser.
Wenn die nur wüssten, wenn, ja wenn.
Die Praktikantin im Büro.
Die und die und die.
Es dauert nicht lange und die wichtigste Aufgabe des Tages liegt hinter ihm.
Der Tag hat seinen Höhepunkt überschritten.
Ein, zwei Gedanken quälen ihn nun.
Um so mehr jemand wie er die Menschen wie Dreck behandelt, um so mehr lieben sie seinen Reichtum, seine unwiederstehliche Arroganz.
Um so mehr er seine Verachtung nicht mehr zurückhalten kann, um so begehrenswerter erscheint er.
Er wäscht sich die Gedanken vom Leib und verlässt die Dusche.
Die Linie.
Der Anzug.
Die Tür.
Das Auto.
Das Büro.
Er braucht nicht mehr nach Thailand fahren, denkt er, als er die Putzfrauen erblickt, die beinahe vor Ehrfurcht in den glattpolierten Boden zu verschwinden scheinen.
Thailand ist zu ihm gekommen.
Wie in Thailand, wie in Pakistan.
So sieht er die Zukunft.
Der mobile Arbeitnehmer, welcher und welche.
Der Wohlstand hat sie alle verdorben und ihn nicht am meisten.
Das Wochende in Südafrika um Golf zu spielen; den Weihnachtsurlaub auf den Malediven; auf einen Kurztrip nach New York oder in Dubai eine Immobilie kaufen.
Dass ist seine Welt.
Die Welt der Gewinner hier in der Provinz.
Man kann sie an einer Hand abzählen und es sind viele Hände.
Dass ist seine Welt.
Eine Welt, abgekapselt von jedlicher und jedlichem.
Eine Welt jenseits von Vorstellung und Realität.
Die kalte Schulter.
Der trockene Händedruck.
Das Seinesgleichen.
Man versteht sich.
Die Kreise.
Das kalte Buffet.
Die feuchten Champagner-Gläser.
Den Abschaum fernhalten.
Ein Netzwerk entsteht.
Er bleibt stehen.
Er beginnt zu arbeiten.
Telefonat mit der Ex-Frau.
Keine Gefühlsregungen mehr.
Ausgeschwitzt jedlicher Sinn für Verhältnismäßigkeit.
Abgewöhnt den menschlichen Reflex.
Keine Selbstzeifel.
Nur Kälte.
Was braucht ein Mensch Reflexion, Intelligenz, Scharfsinn, Instinkte, wenn er konsumieren kann?
Denn was möchte der Mensch?
Denken?
Reflektieren?
Der Mensch möchte und muss und kann und darf konsumieren.
Formen, Fleisch, Zucker, Alkohol und Koks.
Er konsumiert.
Eine Flasche.
Ein Glas.
Ein Drink.
Die Hochsaison.
Alle müssen zusammenhalten.
Alle die in einer Welt wie der seinen zählen, müssen zusammenhalten.
Ein Ungeheuer unter Ungeheuern.
Ihm wird schlecht bei diesem Gedanken.
2 Tabletten.
Eine Sekretärin stöckelt in sein Büro.
Sein Blick wird noch glasiger.
Der Rock der Sekretärin ist kürzer als seine letzte Linie.
Er flucht sich ein Ungeheuer.
Für die Sekretärin in ihrer atemberaubend und gleichzeitig dezent, wirkt er wohl mehr wie ein Dinosaurier.
Dinosaurier und Blutjunge.
Was für eine Schlagzeile für die Reisebüros in den Großstädten.
Die Selbstachtung kehrt wieder zu ihm zurück.
Wenn man so wie er nicht nur tun und lassen kann, wie es einem beliebt, denn auch tut und lässt was man tut und lässt, dann hat man solche Launen, welche gleich in Neigungen abzukippen drohen.
Er zündet sich eine an.
Man hat sich zu benehmen.
So tun.
Ja und Nein.
Hier eine Unterschrift.
Dort ein Nicken.
Eine Sorgenfalte auf die Stirn zaubern.
Interesse zeigen.
Eine Notiz anfertigen.
Die E-Mails löschen.
Ja, man hat sich zu benehmen.
Sie geht ab.
Er atmet tief durch und als er damit fertig ist, ist eine weitere Linie schwarz geworden.
Einige Telefonate.
Verfluchungen.
Verwünschungen.
Gewitter.
Donner und Wetter.
Eine Idee.
Einem unschuldigen Gesicht den Tag hineinzutreten.
Die Leute antreiben.
Motivieren.
Sich freundlich geben.
Die Fassade künstlich am Leben erhalten.
Das Nicken und das Grüßen.
So freundlich.
Knallhart.
Druck machen.
Spaß haben.
Spotten.
Diskutieren.
Genau sein.
Hinter seinem Lächeln lauert der Tod.
Die Lust ist ihm zur perfiden, an Subtilität kaum zu überbietenden, von den Opfern als solche nicht einmal wahrgenommen Grausamkeit, gefroren.
Er behandelt.
Er handelt.
Seine kälteste Abgebrühtheit wird von den Blutjungen als Kompliment aufgefasst.
Manchmal fragt er sich nach dem Grund, aber er weiß es gibt keinen.
Es ist nicht die Dummheit.
Es ist nicht die Unerfahrenheit.
Es ist nicht die Käuflichkeit.
Die Gier. Der Trieb. Die Lust.
Es ist einfach Nichts.
Nur Nichts.
Nichts.
Er verliert den Faden.
Die Zigarette in seinem Mundwinkel ist ausgegangen.
Er lässt die Zigarette dort.
Sollen sie nur alle wissen.
Alle.
Sollen sie nur alle wissen.
Mit einem Ungeheuer wie ihm.
Einem Ungeheuer unter Ungeheuern.
Er muss zurück.
Ein einflußreicher Strippenzieher, so sensibel wie ein rumänisches Standgericht; so charmant wie ein russischer Eisbär; also ein höchst erfolgreiches Exemplar der Gattung provinzieller Profiteur, Ausbeuter und Menschenschinder.
Erwartet ihn.
Man kennt sich.
Man duzt sich.
Für die Zukunft planen.
Immerzu für die Zukunft planen.
Zwei Tabletten gegen die Paranoia alt zu werden.
Er hat für jede Paranoia eine Tablette, meistens aber zwei.
Die Besprechung.
Der dorthin.
Jene dorthin.
Etwas Gott spielen.
Was er nie verstehen wird.
Was er nie verstehen wird.
Was er nie verstehen wird, wie tief der Mensch sinkt, um solch einem Exemplar zu gefallen.
Wie tief nur
Wie tief sinkt nur der Mensch, um der Macht, dem Einfluß, dem Geld zu gefallen.
Er kann sie förmlich an ihm riechen, die wunderschönsten, die zärtlichsten, die fragilsten weiblichen Geschöpfe dieses Planeten, wie sie sich an ihm heften, ihm Komplimente zuflüstern, ihn umgarnen, ihm den Hof machen, ihn bewundern und respektieren.
Wo ist die Würde, wo ist all dieser Stolz, denn diese ansonsten bei jedem Lebewesen zeigen, aber bei einem solchen Ekelpaket natürlich nicht.
Er ist nur angeekelt.
Der Ekel ist so groß, dass er sich abwenden muss.
Am liebsten würde er dieses Ekelpaket das Klosett hinunter zu spülen, damit er zumindest in seinem eigenen Büro wieder kurz ein- und ausatmen kann, ohne diesen penetranten Gestank von Reichtum, Arroganz und Überheblichkeit.
Er entschuldigt sich.
Ein Drink. Eine Linie.
Noch ein Drink.
Langsam.
Er lässt sich entschuldigen.
Ein Drink. Eine Zigarette. Eine Linie.
Er wird müde.
Einer kommt herbeigestürmt.
Aus dieser Armee aus Schleimern und Kriechern, von denen er nicht nur umzingelt ist, denn umgeben.
Die Seilbahn steht.
Der ewige Fluß an Debilität mit Geld, an Konsum und Fleisch, Formen und Spaß, Arbeit und Fassaden ist unterbrochen.
Die Seilbahn steht.
Seit 10 Minuten.
Die Seilbahn fährt wieder.
Die Armee aus Kriechern und Schleimern schleimt und kriecht wieder in ihre Pole-Position zurück.
Die Schlange vor der Kassa ist nunmehr endlos.
Antreiben.
Motivieren.
Fluchen.
Schreien.
Verwünschen.
Verfluchen.
Ein paar Tabletten für ein paar.
Keiner schafft es ohne Tabletten.
Schon allein wegen dem Höhenunterschied.
Der Höhenlage.
Seine Hochsaison.
In seinem Pakistan. In seinem Thailand. In seinem Reich.
Er telefoniert mit den Verantwortlichen.
Der Clip in seinem Ohr scheint angewachsen.
Er flucht.
Er droht.
Er spottet.
Er ist nicht Teil eines System. Er ist das System.
Es funktioniert.
Er funktioniert.
4.
Die schwule Sau. Die Drecksau. Die Sau. Das Schwein. Der Frocio. Der Matto. Der Porco. Der Malato. Der Kranke. Die Schwuchtel. Der Deficente. Der Pezzo di merda. Der Finnocchio.
Er kann mit anderen Menschen kommunizieren.
Geschwiegen wird nur über die eigene Intelligenz.
Die ist nämlich Ausländer im eigenen Körper und Geist.
Auszuweisen und einzuweisen.
Und brutal.
Das Dreckschwein. Die Putanella. Der Poveraccio. Der Verrückte. Die Schwuchtel. Die schwule Sau. Die Drecksau. Die Sau. Das Schwein. Der Pezzo di Merda. Der Kranke. Der Deficente. Der Matto.
Der Bürgermeister, der Tourismusvisionär, die Provinzabgeordneten, der Abgeordnete, der Pöbel.
Diese erfolgreichsten provinziellen deutschen Emporkömlinge, Reichenzöglinge, verwöhnte Fratzen von Kinderbeinen an.
Den Diskurs bestimmend.
Das Vorbild bilden
Seltsam?
De Rossi, der italienische Staatssicherheitsapparat, Alemanno, Aquilani, der Pöbel.
Vielleicht besser anstatt "Pronti alla morte" zu sagen "Pronti al fascismo" in Zukunft.
Seltsam?
Seltsam, dass die Bauern vor 100 Jahren, ungebildet und unwissend, eine gewähltere, eine delikatere, eine sanftere, ja eine schönere, zwar rohe, aber sensiblere Sprache miteinander gesprochen hatten, als die Menschen heutzutage.
Als ob es das Ziel eines jeden Menschen wäre, die tiefstmögliche Sprache zu sprechen.
Und dass einzige was alle Menschen vereint, ist nicht die Geburt und der Tod, denn die Dummheit.
Angefangen bei den Schlampen.
Der Bürgermeister, der Tourismusvisionär, die Provinzabgeordneten, der Abgeordnete sind der Pöbel.
De Rossi, der italienische Staatsicherheitssapparat, Alemanno, Aquilani sind der Pöbel.
So als ob es den Sauerstoff nur geben würde, damit dieser mit Beleidigungen, Drohungen und brutalsten, rohesten und dummsten Wörtern aufgefüllt werden kann.
Seltsam, dass die Sprache dermaßen verroht ist, gerade so, als ob es keine schönen Wörter geben würde, denn nur ein frocio, ein porco, ein stronzo, eine Sau, eine Drecksau, eine schwule Sau.
Der deutsche Bankdirektor, der Polizist, der und die, ja von oben bis unten, von jung bis alt, eine obszöne Verzerrung des Sprachlichen, eine Vulgarisierung der Sprache, welche darauf hindeutet, dass diese Menschen, außer dieser vulgären, dummen, rohen, brutalen, einfachen, dummen Sprache nichts zu bieten hätten.
Seltsam.
Seltsam, dass die Bauern vor 100 Jahren eine gepflegtere, schönere und sensiblere Sprache hatten, welche nicht nur aus Beleidigungen, Bedrohungen und Spotten und Erniedrigen bestanden hatte.
Das Fernsehprogramm?
Die Schafe, die am allerliebsten den Tyrannen folgen?
Die andauernde Vulgarisierung durch Medien und den Umgang miteinander?
Diese Verrohung des sprachlichen Ausdruck bei den Vertretern des Staates, überall?
Diese verbale Gewalt von allen Seiten auf das Sanfte, das Gute und das Erhabene, um dass Niedrigste als das Höchste hochzupreisen.
Die schwule Sau. Die Drecksau. Die Sau. Das Schwein. Der Frocio. Der matto. der Porco. Der Malato. Der Kranke. Die Schwuchtel. Der Deficente. Der Pezzo di merda. Der Matto. Der Finnocchio.
Er kann mit anderen Menschen kommunizieren.
5.
Seine Macht.
Sein Einfluß.
Seine Beziehungen.
Seine Skrupellosigkeit.
Seine Kälte.
Sein Reich.
Das Herz der Finsternis.
Sein Herz.
Heute.
Er verlässt sein Reich.
Immer seltener verlässt er sein Reich.
Er fährt. Er parkt.
Er trifft in der nahegelegenen Stadt ein.
Er geht.
Er verflucht dabei deren Bewohner.
Ein jedes Mal etwas mehr.
Er geht mit seinem Gesicht.
Nach 20 guten Jahren.
Nach 20 schlechten Jahren intensivem Alkohol- und Kokainmissbrauch.
Eine Fratze.
Eine Maske, wie ein letzter Akt.
Eine grässliche Metapher auf die Zustände in der Provinz.
Der Ausdruck pendelt zwischen Verachtung und Selbstverachtung unausgeglichen.
Die Passanten. Die Masse. Die Menschen.
Die Menschen hier sind konservativ.
Ein jeder für sich eine Hölle.
Er ist konservativ.
Er trägt Kleidung aus Täuschung und wie leicht.
Die Selbsttäuschung erledigt das Übrige.
Man hat sich zu benehmen.
Konservativ bis in die Zehenspitzen, bis in die Haarspitzen, bis in die Fingerkuppen, dem Knochenmark, bis zum letzten Kreis der Selbsttäuschung.
Konservativ.
Lächerlich ist nur ein Wort unter vielen.
Wenn die wüssten, wenn die nur wüssten.
Ein jeder für sich eine Hölle.
Ein jeder isoliert und für sich allein.
Genau so wie es sein sollte.
Er sorgt dafür, dass es so bleibt.
Keiner soll glauben, dass.
Keiner soll denken, dass.
Dass.
Es geht um das Geld.
Vergesst die Menschen, es geht um das Geld.
Er schleppt sich weiter voran.
Die Kinder erschrecken nicht vor seinen verzerrten Gesichtszügen.
Diese werden nur totenblass.
Dieses Gespenstische, welches ihm anhaftet, dieses kaum zu fassende und zu erfassende; wie er durch die Straßen eilt.
Man muss aufpassen, ihn überhaupt zu bemerken.
Es passt keiner auf.
Er bleibt unauffällig.
Er schwitzt, obwohl es kalt ist.
Er verflucht sich innerlich.
Außerhalb seines Reiches lauern keine Gefahren auf ihn.
Er ist die Gefahr.
Er begegnet zufällig.
Er grüßt freundlich.
Er könnte ein Makler, ein Spekulant sein.
Ein Schatten
Er bleibt unauffällig.
Er schimpft.
Er kann sich nicht zurückhalten.
Er schimpft auf einige.
Man kann seine Wörter nicht verstehen.
Die hängende Nase.
Die totgeküssten Lippen.
Das schlaffe Fleisch.
Er schimpft.
Er sucht ein Cafe auf.
Der Blick des Wirtes erblüht als er ihn erblickt.
Wie er ein Konservativer.
Spezialisiert auf das Verhalten anderer Menschen.
Nicht das eigene.
Das eigene ist ja bekanntlich wertefrei.
Der Blick des Wirtes blüht und blüht.
Strahlend und glücklich.
Konservative unter sich.
Er ist kein Mensch.
Nein.
Er ist kein Mensch für diesen Wirt.
Er ist ein Fabrikant der Geld herstellt.
Nur ein weiteres Ungeheuer unter Ungeheuern.
Das große Schweigen und die Kasse stimmt.
Die Kellnerin, blutjung und wunderschön, wie immer bei diesen Menschenschlag und trotzdem nuttig.
Berüht beinahe seine Lippen, als sie ihm sein Getränk hinstellt.
Kannst "Du" zu mir sagen.
Geld ist Liebe. Liebe ist Geld.
Formen, Fleisch, Zucker, Koks und Alkohol.
Die jungen Hühner gackern fröhlich in seine Richtung los.
Er flüchtet auf die Toilette.
Eine Linie, um des Selbstekel Herr zu werden.
Er ist zunehmend schlecht gelaunt.
In dieser Farce möchte er nicht die Hauptrolle spielen.
Er ist der Regisseur.
Er bleibt lieber im Hintergrund.
Wie die Makler und Spekulanten.
Wie ein Schatten auf dem Leben.
Eine Milisekunde lang fällt sein Blick auf den Spiegel.
Ein Ungeheuer blickt ihm entgegen.
Jetzt ist er schlecht gelaunt.
Wie immer wenn er sein Reich verlässt.
Er verlässt das Lokal.
Seine Termine.
Genug.
Hier und dort.
Und hier und dort.
Genug.
Er dreht um.
Zurück in das Reich.
Sein Reich.
Noch einmal sein Gesicht herzeigen.
Sollen sie nur alle wissen. Alle.
Sollen sie nur alle wissen.
Die Hochsaison.
Seine Hochsaison.
Er schimpft auf einige Jugendliche.
Keiner versteht ihn.
Er geht.
Er trifft.
Er begegnet.
Der Bürgermeister in Begleitung des Chef der örtlichen Polizia kommt ihm entgegen.
Bevor er umdrehen kann, abtauchen, verschwinden.
Der Bürgermeister hat ihn erblickt.
Er schimpft leise vor sich hin.
In seinem Reich wäre ihm dass nicht passiert.
Überschwenglich, weithin sichtbar, übertrieben freundlich, damit es ein jedes Schaf auch sehen kann.
Beinahe auch noch die Hand auf die Schulter.
Er krümmt sich zusammen.
Die gegenseitige Abneigung wird durch übertrieben dargestellte Freundlichkeit in der Öffentlichkeit wettgemacht.
Böse Menschen mögen einander nicht.
Nur das Geschäft mögen sie.
Der Zwang.
Das Geschäft.
Ein Auskommen finden.
Böse Menschen.
Nicht ein bißchen, durch und durch.
Man spricht miteinander.
Ein Zeichen setzen.
Ein Brandzeichen.
Die Drecksau?
Ja, immer noch nicht tot?
Ratlosigkeit bei den drei Machern.
Ja, immer noch nicht tot!
Vorwurfsvoll.
Entschuldigendes Achselzucken.
Der Chef der örtlichen Polizia blickt währendessen irgendwo anders hin.
Wie immer.
Wohin auch immer.
Es geht nicht darum Böses zu verhindern, denn die Guten kaputt zu machen.
Es geht nicht darum die Bösen zu behindern, denn die Guten unter Kontrolle zu halten.
Dass wissen alle drei nur allzu gut.
Das Geschäft.
Nämlich und männlich.
Ihre Macht ist ihnen nicht zum Selbstzweck geworden, denn zum eigentlichen Daseinsgrund.
Kalte Fische strahlen keine Wärme aus.
Er wird wütend.
Das Herz der Finsternis.
Der Chef der örtlichen Polizia.
Er.
Der Bürgermeister.
Sie verstehen die Sorgen der Reichen und machen den Armen Sorgen.
Einige Todesdrohungen ausgespuckt.
Brutalster und vulgärster Worte.
Sie verstehen ihn.
Er fühlt sich etwas erleichtert.
Heute eine Blutjunge.
Er wird die Drecksau umbringen.
Seine nunmehr noch mehr verzerrten Gesichtszüge erinnern an Alpträume im Fieberwahn.
Seine Nase beginnt zu jucken.
Der Chef der örtlichen Polizia hat genug gehört; geht zu ihm, klopft ihm auf seine Schultern und geht mit den Wörtern "Bist ein guter Kerl" ab.
Die Gerechtigkeit hat gesiegt.
Der Bürgermeister strahlt über sein gesamtes Gesicht.
Gleich einer Invasion der Debilität.
Marionetten haben Fäden.
Der Bürgermeister hat aber nur seine Vorliebe für Reiche.
Auch er wendet sich ab.
Er droht weiterhin.
Der Bürgermeister lächelt.
Er wird sich darum kümmern.
Der Bürgermeister geht wortlos ab.
Seine Finger, welche zwar über und über mit allerniedrigstem menschlichen Dreck, will er sich nicht dreckig machen.
Zumindest so tun.
Immerhin.
Er muss in sein Reich zurück.
Seinem Pakistan.
Eine Linie.
Seine Nase beginnt zu bluten.
Das Auto.
Sein Herz schlägt stark und vital.
Stolz ist man auf ihn.
Stolz ist die Provinz auf solche Menschen.
Sein Herz schlägt stark und vital.
Das Herz der Dunkelheit.
*inspiriert durch den Kurzprosa-Text von Elfriede Jelinek: paula, bei der rezeption eines buches, das am land spielt und in dem sie die Hauptrolle spielt; in: manuskripte 50 (1975) S. 49-51