giovedì, giugno 14, 2007

Wislawa Szymborska



Folter

Geändert hat sich nichts;
der Körper ist schmerzempfindlich,
muß essen, atmen und schlafen,
unter der dünnen Haut fließt das Blut,
er hat einen ziemlichen Vorrat an Zähnen und Nägeln,
sein Knochengerüst ist brüchig, die Gelenke sind streckbar.
Das alles wird bei der Folter beachtet.

Geändert hat sich nichts,
der Körper zittert, wie er gezittert hatte,
vor der Gründung Roms und nach der Gründung Roms,
im zwanzigsten Sakulum vor, nach Christi Geburt,
die Folter ist, wie sie war, nur die Erde ist kleiner,
und was immer geschieht, ist so, als wäre es gleich nebenan.

Geändert hat sich nichts;
es gibt nur mehr Menschen,
zu den alten Vergehen kamen neue hinzu,
wirklich, eingeredete, zeitweilige und keine,
aber der Schrei, mit dem der Körper sie büßt,
war, ist und bleibt ein Schrei der Unschuld,
gemäß der ewigen Skala und der Register.

Geändert hat sich nichts,
außer den Manieren, Zeremonien, Tänzen.
Die Handbewegungen derer, die ihren Kopf schützen wollen,
bleibt die gleiche.
Der Körper windet sich, bäumt sich auf, reißt sich los,
knickt in den Knien zusammen, fällt,
wird blau, schwillt an und speichelt und blutet.

Geändert hat sich nichts;
außer dem Wettlauf der Grenzen,
der Linien der Wälder, Gestade, Wüsten und Gletscher.
In diese Landschaften streut unsere Seele,
verschwindet, kommt wieder, mal näher, mal ferner,
sich selber fremd, unbegreifbar,
mal sicher, mal unsicher ihres Vorhandenseins,
während der Körper ist und ist und ist
und weiß nicht wohin.